Der Ausgang der Auseinandersetzungen über die Finanzierung der drei Berliner Opernhäuser zeigt einmal mehr, welch hoher Stellenwert den Einrichtungen der Hochkultur beigemessen wird. Trotz einer desolaten Haushaltslage hat sich der Berliner Senat entschieden, seine drei Opernhäuser stärker zu subventionieren. Allein die Staatsoper Unter den Linden soll in den kommenden vier Jahren für den Spielbetrieb jährlich zehn Millionen Euro zusätzlich erhalten. Denn wie andere Einrichtungen der Hochkultur werden Opernhäuser in zunehmendem Maß auch als Standortfaktoren einer Stadt in einer globalisierten Dienstleistungsökonomie angesehen.
Deutschlandweit über 100 Opernspielstätten
Doch die deutsche Opernlandschaft beschränkt sich nicht auf die Hauptstadt. Im internationalen Vergleich hebt sie sich durch ihre Vielfalt und Dichte heraus (Karte 1). Sie ist zunächst einmal durch eine Reihe herausragender Opernhäuser in den Metropolen gekennzeichnet, die infolge ihrer Größe und der Vielzahl an Aufführungen einen erheblichen Teil der Opernbesucher in Deutschland an sich binden. Jedes Jahr wird in der Regel eines von ihnen zum „Opernhaus des Jahres“ (Glossar) gekürt. Außerdem gibt es zahlreiche Mehrspartenhäuser, in denen neben dem Sprechtheater regelmäßig eigene Opernproduktionen zur Aufführung kommen. Durch die Theaterverbünde, die mit ihrem Ensemble an mehreren festen Spielstätten auftreten, haben Opernaufführungen auch in eher ländlichen Regionen einen festen Platz. Zu ihnen zählen beispielsweise das „Theater Vorpommern“ mit den Theatern in Stralsund, Greifswald und Putbus sowie das „Landestheater Niederbayern“ mit den Spielstätten in Landshut, Passau und Straubing. In der Karte 1 sind 93 Häuser berücksichtigt worden, in denen regelmäßig mit eigenen Ensembles Opern aufgeführt werden (Häuser ohne feste Ensembles wie beispielsweise das Staatstheater Wolfsburg, das Festspielhaus Baden-Baden oder die Neukölner Oper in Berlin werden nicht dargestellt). Komplettiert wird dieses Bild durch zahlreiche Festspiele, die vornehmlich in den Sommermonaten stattfinden und die ansonsten opernfreie Zeit ausfüllen.
Historische Wurzeln
Das vielfältige und breit gefächerte Angebot an Ensembles und Spielstätten geht sowohl auf die höfische Kultur des 17. bis 19. Jhs. wie auch auf die Stärke des aufkeimenden Bürgertums im 18. und 19. Jh. zurück. Ersteres zeigt sich an den vielen Bühnen speziell in Mitteldeutschland, wo die ehemals kleinräumige territoriale Gliederung eine Vielzahl von Residenzen geschaffen hatte, die miteinander um ihr kulturelles Ansehen konkurrierten. Hier wurde schnell die im 17. Jh. in Italien neu entwickelte musikalische Ausdrucksform der Oper übernommen und als elementarer Bestandteil der Residenzkultur gefördert. Die zahlreichen kleinen Hoftheater wurden meist erst Anfang des 20. Jh. in Landes- oder Staatstheater überführt, wobei ihre Zahl weitgehend erhalten blieb. Noch heute spiegelt sich diese Vergangenheit in vielen Namen der Häuser wider.
Als zweite Wurzel der Musiktheatervielfalt kann das hohe Maß an politischer und finanzieller Autonomie deutscher Städte in Verbindung mit dem Wohlstand des Handelsbürgertums ab dem ausgehenden 17. Jh. gelten. Ihre selbstbewusste Investition in Bildung und Kultur führte dazu, dass auch in Städten, die keine politischen Landeszentren oder fürstlichen Residenzen waren, Opernhäuser oder Opernensembles gegründet wurden. So entstanden bereits 1678 in Hamburg und 1693 in Leipzig die ersten öffentlichen Opernhäuser.
Oper als Event
Eine Opernaufführung ist häufig auch ein gesellschaftliches Ereignis, bei dem für viele Besucher neben der eigentlichen Aufführung die Inszenierung des eigenen Auftritts einen hohen Stellenwert besitzt. Die Aufführungsorte unterscheiden sich hier erheblich in ihrem Potenzial, den Besuchern auch als bedeutende gesellschaftliche Bühne zu dienen. Dieses Potenzial stellt eine nicht zu unterschätzende Differenzierung der Opernlandschaft dar. So stehen auf der einen Seite Häuser, die stärker als reine Spielstätten zu sehen sind, während an anderer Stelle Opernhäuser als funkelnde Bühnen des städtischen Lebens fungieren. Die letztgenannte Funktion erfüllen heute insbesondere die großen Häuser, wobei hier Premierenveranstaltungen und Gastspielen gefeierter Solisten oder Gastdirigenten ein besonderer Status zukommt. Dies spiegelt sich auch in den Preisen der Eintrittskarten wider (Karte 2). Das bedeutendste Ereignis stellen hier sicherlich die Bayreuther Festspiele dar, bei denen sich die Auftritte prominenter Opernbesucher zu einer Angelegenheit von nationalem Interesse entwickelt hat. In jüngerer Zeit haben unter dem Motto „Oper für alle“ einige große deutsche Häuser durch die öffentliche Live-Übertragung (Außenübertragung) von zumindest einer Opernaufführung pro Spielzeit Oper zu einem Event entwickelt. Möglicherweise tragen diese Großereignisse längerfristig zu einer Verjüngung des Operpublikums bei, das derzeit deutlich über dem deutschen Altersdurchschnitt liegt.
Zukunft der Oper
Um die Vielfalt der deutschen Operlandschaft langfristig zu erhalten, ist grundsätzlich ein Zuwachs an Klassik- und Opernliebhabern notwendig. Denn abgesehen von einigen großen Häusern in München, Dresden, Düsseldorf, Karlsruhe, Stuttgart und Hamburg, die mit über 80% fast vollständig ausgelastet sind, bleiben in vielen Städten bei Opernaufführungen fast die Hälfte der Plätze unbesetzt (Karte 2). Da Opernaufführungen derzeit nicht ohne öffentliche Zuschüsse auskommen, stehen sie aufgrund der angespannten Lage der öffentlichen Haushalte grundsätzlich auf dem Prüfstand. Während die großen Häuser mit ihrem Glamour durchaus als weicher Standortfaktor angesehen werden können und auch weiterhin eine entsprechende Förderung genießen dürften, entfällt bei kleineren Häusern dieses Argument. Hier werden Opern langfristig sicherlich nur überleben können, wenn die Produktionen einen entsprechenden Zuspruch finden.
Glossar
„Opernhaus des Jahres“
In einer Jahresumfrage der Zeitschrift „Opernwelt“ wählt eine unabhängige Jury aus fünfzig Musikkritikern das „Opernhaus des Jahres“. Der Titel wird seit 1994 verliehen. 2007 wurden mit dem Theater Bremen und der Komischen Oper Berlin erstmals zwei Häuser mit dem Titel „Opernhaus des Jahres“ ausgezeichnet.
Quellen
ABERT, Anna Amalie (1994): Geschichte der Oper. Kassel, Stuttgart, Weimar.
DEUTSCHER BÜHNENVEREIN – BUNDESVERBAND DER THEATER UND ORCHESTER (Hrsg.) (2007): Theaterstatistik 2005/2006. Heft 41. Köln.
DEUTSCHER BÜHNENVEREIN – BUNDESVERBAND DER THEATER UND ORCHESTER (Hrsg.) (2006): Theaterstatistik 2004/2005. Heft 40. Köln.
DONINGTON, Robert (1997): Die Geschichte der Oper. Die Einheit von Text, Musik und Inszenierung. München.
FORSYTH, Michael (1992): Bauwerke für Musik. Konzertsäle und Opernhäuser, Musik und Zuhörer vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. München, London, New York, Paris.
GENOSSENSCHAFT DEUTSCHER BÜHNEN-ANGEHÖRIGER (GDBA) (HRSG.) (2007): Deutsches Bühnen-Jahrbuch 2007. Hamburg.
KONOLD, Wulf (1980): Deutsche Oper – einst und jetzt: Überlegungen und Untersuchungen zu Geschichte und Gegenwart des deutschen Musiktheaters. Kassel, Basel, London.
REUBAND, Karl-Heinz (2008): Kosten – Interesse – Lebensstil. Warum Opernliebhaber nicht häufiger in die Oper gehen und andere die Oper meiden. In: Stadtforschung und Statistik, Nr. 1, S. 24-30.
REUBAND, Karl-Heinz (2007): Die soziale Stellung der Opernbesucher. Krise der Oper oder des Klassikpublikums? – Gebildete Ältere. In: Stadtforschung und Statistik, Nr. 1, S. 15-21.
REUBAND, Karl-Heinz (2006): Teilhabe der Bürger an der „Hochkultur“ – Die Nutzung kultureller Infrastruktur und ihre sozialen Determinanten. In: Labisch, Alfons (Hrsg.): Jahrbuch der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 2005/2006, S. 263-283. Düsseldorf.
ZÖCHLING, Dieter (1983): Opernhäuser in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Geschichte, Ereignisse, Interpreten. [Hermes-Handlexikon]. Düsseldorf.
Bildnachweis
Berlin: Deutsche Staatsoper Unter den Linden; Presse- und Informationsamt des Landes Berlin/Thie
Berlin: Komische Oper Berlin; Komische Oper Berlin, Hanns Joosten (2 Bilder)
Bonn: Oper der Stadt Bonn; Sabine Tzschaschel
Braunschweig: Staatstheater Braunschweig; Uni Kazig
Bremen: Theater Bremen; Jörg Landsberg
Dresden: Sächsische Staatsoper; MEV
Erfurt: Theater Erfurt; Theater Erfurt
Frankfurt a.M.: Oper Frankfurt; Sabine Tzschaschel
Freiberg: Theater Freiberg; Monika Micheel
Freiburg i.Br.: Theater Freiburg; Andreas Schweitzer
Hamburg: Hamburgische Staatsoper; Doris Mahler
Hannover: Staatsoper Hannover; Uni Kazig
Köln: Oper der Stadt Köln; Andreas Schweitzer
Leipzig: Oper Leipzig; Jens Rohland
München: Nationaltheater; Volkmar Tischer
Nürnberg: Staatstheater Nürnberg; Lucas Tischer
Oldenburg (Oldb): Oldenburgisches Staatstheater; Meisterbetrieb Foto Schmidt
Stralsund: Theater Stralsund; Monika Micheel
Stuttgart: Staatsoper Stuttgart; Iris Limburger
Weimar: Deutsches Nationaltheater; Andrea Jonas
Zitierweise
Kazig, Rainer u. Andreas Schweitzer (2008): Die deutsche Opernlandschaft. In: Nationalatlas aktuell 2 (07.2008) 7 [03.07.2008]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL).
URL:
http://aktuell.nationalatlas.de/Opernspielstaetten.7_07-2008.0.html
Autoren
Dr. Rainer Kazig
Geographisches Institut
der Universität Bonn
Meckenheimer Allee 166
53115 Bonn
Tel.: (0228) 73 20 96
E-Mail: kazig@giub.uni-bonn.de
Dipl.-Geogr. Andreas Schweitzer
Geographisches Institut
der Universität Bonn
Meckenheimer Allee 166
53115 Bonn
Tel.: (0228) 73 20 96
E-Mail: andreas@uni-bonn.de